Wie unabhängig ist die Kunst?

Bemerkungen eines Außenstehenden

Lothar Zitzmann, "Brigade", 1976
Klassik Stiftung Weimar, VG Bildkunst, Bonn
Dymschitz bei einer Ansprache, 1948
Bundesarchiv, Bild 183-R74926 / CC-BY-SA 3.0

Im November erscheint in der Ostberliner „Täglichen Rundschau“ der Artikel „Über die formalistische Richtung in der deutschen Malerei“ des sowjetischen Literaturwissenschaftlers und Kulturoffiziers Alexander Dymschitz.

In dem Artikel, der die Unterzeile „Bemerkungen eines Außenstehenden“ trägt, schreibt Dymschitz unter anderem: „Die formalistische Richtung in der Kunst ist ein typischer Ausdruck der bürgerlichen Dekadenz, die das künstlerische Schaffen entarten zu lassen droht, die einen direkten Anschlag auf das Wesen der Kunst bedeutet, die die eigenste Natur der Kunst zerstört und ihre Selbstauflösung herbeiführt.

Daher ist der Kampf gegen den Formalismus ein Kampf um die Kunst, um die Rettung des künstlerischen Schaffens vor dem ihm drohenden Untergange.“ Dieser Artikel markiert den Wendepunkt zugunsten der Doktrin eines „Sozialistischen Realismus“ in Ostdeutschland.

Willi Neubert, "Stahlwerker II", 1968
Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland im Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden bpk, VG Bild-Kunst

Zu diesem Zeitpunkt haben die Diskussionen um die Form der Kunst in der sozialistischen Gesellschaft bereits einen ersten Höhepunkt erreicht. Die Formalismusdebatte spaltet die Künstler in zwei Lager: in diejenigen, die in einem „Sozialistischen Realismus“ sowjetischer Prägung das erstrebenswerte Vorbild auch für die DDR-Kunst sehen, und in diejenigen, die eine unabhängige Kunst fordern, die sich an den vielfältigen Erscheinungsformen der internationalen Moderne und älteren Traditionen orientiert.

Lothar Zitzmann, "Arbeiter am Tisch", 1966
bpk / Nationalgalerie, SMB / Bernd Kuhnert, VG Bild-Kunst

Trümmer weg – baut auf

Im Rahmen des SED-Aufbauprogramms für Berliner Bahnhöfe entwirft Horst Strempel 1948 – zu dieser Zeit ist er bereits Professor für Malerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee – ein Wandbild für die Schalterhalle des Bahnhofs Friedrichstraße. Es trägt den Titel „Trümmer weg – baut auf“.

Während das Wandbild bei seiner Einweihung noch hoch gelobt wird, gerät Strempel im Zuge der Formalismusdebatte immer stärker unter Beschuss. Man kritisiert seinen Stil, der das von der politischen Führung propagierte Menschenbild nicht adäquat wiedergeben könne. Das Wandbild wird 1951 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überstrichen.

Horst Strempel, "Plandiskussion", 1949
bpk / Nationalgalerie, SMB, VG Bild-Kunst

Man attackiert Strempel auch in der Folge so heftig, dass er keine andere Möglichkeit mehr sieht, als die DDR zu verlassen. Er geht mit seiner Familie nach Westberlin. Hier kann er jedoch nicht mehr an den Erfolg der ersten Nachkriegsjahre in der DDR anknüpfen.