Die Mauer im Kopf will nicht fallen

Auch nach der Wende kaum Versöhnung in Sicht

Bernhard Heisig, "Helmut Schmidt"
akg-images / © Bernhard Heisig / VG Bild-Kunst

Kunst im Reichstagsgebäude

Als 1997 Bernhard Heisig als einziger ostdeutscher Künstler neben Carlfriedrich Claus eingeladen wird, an der künstlerischen Ausgestaltung des Reichstags mitzuwirken, spitzt sich der Konflikt weiter zu. Wiederum initiiert der Kunstkritiker und Kurator Christoph Tannert eine Protestresolution, die mehr als 60 ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler unterzeichnen. Heisigs Arbeit für den Reichstag wird dennoch verwirklicht – auch dank der Fürsprache von prominenten Politikern wie Helmut Schmidt oder Schriftstellern wie Günter Grass. Sein monumentales Bild „Zeit und Leben“ befindet sich heute in der Parlamentspräsenzbibliothek auf der Plenarsaalebene des Reichstagsgebäudes.

Bernhard Heisig, "Helmut Schmidt"
akg-images / © Bernhard Heisig / VG Bild-Kunst
Helmut Schmidt und Bernhard Heisig
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Vor dem Hintergrund dieser Proteste wird die für 2001 geplante Willi-Sitte-Schau im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg abgesagt. Man will dem einstmals mächtigsten Kunstfunktionär der DDR und bekennenden SED-Anhänger nun doch kein Podium bieten.

Aufstieg und Fall der Moderne

Als 1999 in Weimar die Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ eröffnet wird, ist die Empörung abermals groß. Beanstandet wird diesmal allerdings nicht, welche Künstlerinnen und Künstler ausgestellt werden, sondern vielmehr, wie mit der Malerei aus dem Osten Deutschlands umgegangen wird. So werden etwa Kunstwerke der NS-Zeit mit Arbeiten aus der DDR gleichgesetzt. Als besonders respektlos wird die Hängung auf juteartigem Stoff empfunden, der an Müllsäcke erinnert. Einige Künstler, aber auch Leihgeber fordern die sofortige Rückgabe ihrer Bilder.

Ausstellung “Aufstieg und Fall der Moderne”, Mai 1999
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Von der allmählichen Wiedervereinigung der Kunst

Nachdem die Weimarer Ausstellung in Ost und West als polemisch und unangemessen abgelehnt wird, setzt sich ein differenzierterer Umgang mit der „Kunst in der DDR“ durch, wie auch die gleichnamige Retrospektive 2003 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin heißt. Mit 400 Exponaten und 145 Künstlerinnen und Künstlern wird sie im wiedervereinten Deutschland als Meilenstein gewürdigt und ist auch beim Publikum ein Erfolg.

Holzskulptur "Du musst doch bewaffnet sein" von Hans Scheib
IMAGO / PEMAX

2005 gibt es schließlich eine große Rückschau zu Bernhard Heisigs 80. Geburtstag, die sowohl in Leipzig als auch in Düsseldorf gezeigt werden soll. Ein solches gesamtdeutsches Interesse an Kunst aus der DDR wird allerdings bis heute eher die Ausnahme bleiben. 

Und doch: zweierlei Kunst

Installationsansichten der Ausstellung 60 Jahre 60 Werke im Martin-Gropius-Bau, Berlin, 1.V – 14.VI 2009, Jonathan Meese, li.: Die Staatsversuchung der Gebenedeiten im Erzland, 2003
© Stiftung für Kunst und Kultur Bonn / Foto: Stefan Lucks, Berlin, Contemporary Fine Arts, Berlin; re.: TOTALADLER, Baby-CHEF der Kunst (das Ei des Columbus), 2007, Privatsammlung, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2009

Die Ausstellung „60 Jahre 60 Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1989“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin klammert die ostdeutsche Kunst prinzipiell aus. Im bundesdeutschen Jubiläumsjahr soll die DDR nicht in Erscheinung treten. Doch außen vor bleibt damit auch jene ostdeutsche Kunst, die das SED-Regime ablehnte.

Installationsansichten der Ausstellung 60 Jahre 60 Werke im Martin-Gropius-Bau, Berlin, 1.V – 14.VI 2009, Tobias Rehberger, Anderer, 2002/2009
© Stiftung für Kunst und Kultur Bonn / Foto: Stefan Lucks, Berlin, Courtesy neugerriemenschneider, Berlin, © Tobias Rehberger 2002

Vielfalt und Widersprüche

Im Kunstmuseum Moritzburg in Halle an der Saale wird 2018 die Dauerausstellung völlig umgestaltet und stellt nun die zu DDR-Zeiten gesammelten Kunstwerke in ihrer Vielfalt und ihren Widersprüchen aus. 2021 wird dort die kritische Reflexion schließlich mit der Ausstellung „Sittes Welt“ fortgeführt. Es ist die erste Retrospektive zum Werk des umstrittensten Künstlers seit 1986. Dass kein westdeutsches Museum sich an einer Übernahme interessiert zeigt, verdeutlicht abermals, wie gespalten die deutsche Kunstlandschaft auch heute noch ist.

"Sittes Welt" im Kunstmuseum Moritzburg
Foto: Marcus-Andreas Mohr, VG Bild-Kunst