Erinnerte Vergangenheit

Der Maler aus Schönebeck an der Elbe

Werner Tübke gilt mit Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer als Begründer der Leipziger Schule, die sich als Bewahrerin deutscher Maltradition versteht. Tübkes Vorbilder heißen Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Matthias Grünewald, Pieter Bruegel oder Hans Baldung Grien. Er orientiert sich an deutschen und italienischen Meistern, um einen ganz eigenen Bildkosmos zu schaffen. Gegenwart sei für ihn erinnerte Vergangenheit, erklärt er einmal.

Pieter Bruegel der Ältere, "Die niederländischen Sprichwörter", 1559
Gemeinfrei
Albrecht Dürer, "Marter der zehntausend Christen", 1507
Gemeinfrei

1958 kann er als Sieger eines Wettbewerbes das Restaurant des Hotels Astoria in Leipzig mit seiner ersten größeren Arbeit, den Wandbildern „Die fünf Kontinente“, gestalten. Aufgrund aufwändiger Sanierungsarbeiten in dem seit 1996 geschlossenen Nobelhotel der DDR befinden sich die fünf Doppeltafeln bis auf Weiteres im Depot des Panorama Museums Bad Frankenhausen. 

Werner Tübke, "Die fünf Kontinente"
Panorama Museum, VG Bild-Kunst

Arbeiterklasse und Intelligenz

Zwischen 1970 und 1973 gestaltet Tübke das Wandbild „Arbeiterklasse und Intelligenz“ am Rektoratsgebäude der Karl-Marx-Universität zu Leipzig. Die SED-Kreisleitung macht klare Vorgaben: „ (…) Es soll ausgedrückt werden: Die Arbeiterklasse mit der SED an der Spitze leitet die Entwicklung der gesamten sozialistischen Gesellschaft, auch die Entwicklung der Wissenschaft; die Einheit von Geist und Macht ist hergestellt (…).“ 

Werner Tübke, "Arbeiterklasse und Intelligenz"
akg-images / © Werner Tübke / VG Bild-Kunst

Das Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“ gilt als eines der wichtigsten Propagandabilder der DDR. Dargestellt sind Mitglieder und Studierende der Karl-Marx-Universität, Bauarbeiter des Universitätsneubaus am Augustusplatz sowie politische Funktionäre. Von den mehr als 100 im Bild vorkommenden Personen können etliche sicher identifiziert werden. Während der Arbeit an dem Gemälde reist Tübke zweimal nach Italien. „Die DDR brauchte Valuta“, erklärt Tübke später.

„Da ich Valuta produzierte, hieß es: Sie müssen mal wieder nach Frankreich oder Italien, malen. Ich bekam 15 Prozent des Bildererlöses, der Staat 85. Auf diese Art hatte ich aber Gelegenheit, Europa kennenzulernen, jung genug.“ Valuta oder auch einfach „Westgeld“ ist in der DDR eine Art Schattenwährung zum Beispiel für Güter und Dienstleistungen, die im Arbeiter- und Bauernstaat nicht ohne Weiteres zu haben sind. 

Werner Tübke malt 1973 im Rektoratsgebäude der Karl-Marx-Universität in Leipzig das Bild "Arbeiterklasse und Intelligenz"
picture alliance / ZB | Waltraud Grubitzsch

Die Wiege der Demokratie

Vermutlich als Reaktion auf das monumentale Gemälde in Bad Frankenhausen, zumindest aber in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur offiziellen Einweihung, wird 1987 in Westdeutschland die Ausmalung der zylindrischen Wandelhalle der Paulskirche in Frankfurt am Main in Auftrag gegeben. An historischem Ort soll an das 1848 tagende, erste deutsche Parlament, den Vormärz und die gescheiterte Revolution erinnert werden. Der Maler Johannes Grützke kann sich mit seinem Entwurf „Zug der Volksvertreter“ im Wettbewerb gegen die Künstler Jörg Immendorff und A. R. Penck durchsetzen. Das monumentale Rundbild in der Wandelhalle der Paulskirche wird 1990 vollendet. Seit ihrer Wiedereröffnung 1948 ist die Paulskirche kein Gotteshaus mehr, sondern eine politische Gedenkstätte. Ihr Plenarsaal dient heute als Ort für Festakte und bedeutende Preisverleihungen.

Ausschnitt aus dem Wandgemälde "Der Zug der Volksvertreter" vom Berliner Maler Johannes Grützke, 1991, auf der Innenseite des ovalen Wandelganges in der Paulskirche, Frankfurt am Main
picture alliance / imageBROKER | Michael Weber