Hitzige Debatten über abstrakte Kunst

Wo stehen wir?

Ernst Wilhelm Nay, "Spuren und Perlen"
bpk | Sprengel Museum Hannover | Michael Herling | Aline Gwose

Die Darmstädter Gespräche sind der Versuch, nach den Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs neue geistige Positionen auszuloten. Sie stoßen in den Nachkriegsjahren nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Bevölkerung bundesweit auf große Resonanz. Die Sehnsucht der Menschen nach Kultur, nach geistiger Erneuerung und nach Werten für die gerade erst entstehende demokratische Gesellschaft ist groß. 

Das erste Gespräch findet 1950 statt – parallel zur Ausstellung „Das Menschenbild in unserer Zeit“, die von der Neuen Darmstädter Sezession in den Ausstellungsräumen auf der Mathildenhöhe in Darmstadt initiiert wird. Bis 1975 folgen zehn weitere Gespräche. 

Teilnehmer der ersten Gesprächsrunde sind unter anderem der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno, der Künstler Willi Baumeister, der Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka, der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich sowie der Kunstkritiker Hans Sedlmayr. Sie führen eine hitzige Debatte über abstrakte und figurative Kunst. Unversöhnliche Widersacher sind dabei Sedlmayr und Baumeister. Während Sedlmayr in seiner Abhandlung „Verlust der Mitte“ der Abstraktion jegliche Berechtigung abspricht, ist Baumeister ein Fürsprecher der abstrakten Kunst. Mehr noch: Für ihn stellt die gegenstandsfreie Kunst die höchste Stufe der bisherigen Kunstentwicklung dar. 

Willi Baumeister, 1950
bpk / Peter Fischer
Theodor W. Adorno
bpk / Karin Voigt
“Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können.”
Christoph Schlingensief

Mit dem Kamm gemalt

Willi Baumeister ist vor dem Zweiten Weltkrieg ein gefeierter Maler. Zwischen 1928 und 1933 ist er zudem Professor an der Frankfurter Städelschule. Doch dann dreht sich der Wind. Seine Bilder gelten plötzlich als krankhaft und werden auf der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt.

Willi Baumeister, "Montaru 8", 1953
bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Willi Baumeister, "Heitere Landschaft" / "Jour heureux", 1947
bpk | CNAC-MNAM | Philippe Migeat
Willi Baumeister, "Schwimmer an der Leiter", 1929
bpk / LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, Erworben mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen / Hanna Neander

Ab 1941 hat Baumeister dann Mal- und Veröffentlichungsverbot. Während seine frühen Arbeiten noch vom Impressionismus beeinflusst sind, gilt er später als einer der wichtigsten Vertreter der abstrakten Malerei. Offen für Experimente nutzt er auch ganz unterschiedliche Materialien und Techniken für seine Bilder. So bearbeitet er die Grundierung mit einem Metallkamm, überzieht schwarze Flächen zeitweise mit Buttermilch und setzt Sand und Kitt als „Farben“ ein. 

Schwingende Farben

Während die frühen Gemälde und Zeichnungen von Ernst Wilhelm Nay noch Dünen zeigen oder Fische, Berge und Seen, werden seine Bilder in den 1940er Jahren immer abstrakter. Nay, der sich nie einer Künstlergruppierung anschließt, entwickelt mit seinen sogenannten Scheibenbildern eine ganz eigene abstrakte Bildsprache..

Ernst Wilhelm Nay, "Himmelsrichtung", 1963
bpk / Städel Museum
Ernst Wilhelm Nay, "Komposition grün-rot-grau", 1953
bpk / Sprengel Museum Hannover / Aline Gwose / Benedikt Werner

Mit großen Punkten, Kreisen und Halbkreisen ergründet er die Wirkung der Farben. Sein Ziel ist es, die Farbflächen auf der Leinwand zum Schwingen zu bringen – ganz ohne Vorder- oder Hintergrund.