Das neue Epizentrum der Malerei

Spinnereistraße 7, Leipzig

David Schnell, Eiland, 2019
courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, Foto: Uwe Walter, Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Neo Rauch ist 1960 in Leipzig geboren. Noch in der DDR entwickelt er seinen Stil abseits von Einflüssen des internationalen Kunstmarkts. Und auch heute sind seine Bilder keinem Trend zuzuordnen. Die Figuren sind oft bedrohlich und böse. Sie wirken einsam, oft melancholisch, wie Träumen oder Alpträumen entsprungen. Rauch habe die Tür zur Malerei wieder aufgestoßen, befindet sein Galerist Gerd Harry Lybke. Große Museen in aller Welt wie das Metropolitan Museum in New York oder die Albertina in Wien präsentieren ihn als Ausnahmekünstler. Doch er polarisiert auch. Kritiker entdecken Pathos und Rückwärtsgewandtes in seinem Werk. Rauch selbst empfindet sich eher als Getriebener. Als jemand, der malen muss, um nicht an der Welt zu verzweifeln.

Polarisierende Alpträume

Neo Rauch, "Die Loge", 2020
Foto: Uwe Walter, Berlin
Neo Rauch, "Die Fuge", 2007
Foto: Uwe Walter, Berlin
Neo Rauch, "Der Auftrag", 1996
Foto: Uwe Walter, Berlin

Alles in Bewegung

Der gebürtige Kölner David Schnell hat wie Neo Rauch bei Arno Rink in Leipzig studiert. Fast immer malt er Landschaften. Doch auf Schnells meist riesigen Leinwänden scheinen diese in Bewegung zu geraten, förmlich zu explodieren. Malerisch erkundet er das Verhältnis von Raum und Zeit, verschachtelt mehrere Fluchtpunkte und Bildebenen miteinander. Mitunter wirken seine farbintensiven Gemälde dadurch auch wie „verpixelt“. Seine Vorliebe für Bewegung habe auch mit seiner Begeisterung für den BMX-Radsport zu tun, erklärt Schnell in einem Interview. Der „540° spin“ – eine Mehrfachdrehung in der Luft mit dem BMX-Rad – zählte als Schüler zu seinen Spezialitäten.

David Schnell, "Saison", 2018
courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, Foto: Uwe Walter, Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2021
“Ich erschaffe meine Bilder mit dem Bewusstsein ihrer Flachheit.”
Eberhard Havekost

Verschachtelte Räume

Schon kurz nach seinem Diplom an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig 2003 gehört Matthias Weischer zu den Shootingstars der Neuen Leipziger Schule. Bekannt geworden ist er mit fiktiven Innenräumen, die teils realistisch wirken, dann wieder surreal verbaut. Mal schwebt eine leere Sprechblase mitten im Raum, mal steht eine kleine Blumenvase verloren auf dem Boden, dann wieder verschachteln sich Wände, Böden und Mobiliar zu pixelartigen Mustern. Hier und da finden sich auch Anspielungen auf die Kunstgeschichte.

Matthias Weischer, "Stage", 2020
Matthias Weischer, "Ägyptisches Haus", 2001

Menschen kommen in Weischers Bildern so gut wie nicht vor und dennoch erzählen die Räume auf wundersame Weise von ihnen. Werke von Matthias Weischer befinden sich unter anderem im Museum der bildenden Künste Leipzig, im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, im Gemeentemuseum Den Haag und im Museum of Contemporary Art, Los Angeles.

U Say Love

Eberhard Havekost, "Lady Sovereign", 2006
bpk / Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, SMB, Sammlung Marx / Thomas Bruns

Er befrage mit seinen Bildern die Mechanismen unserer Wahrnehmung, erklärte der Dresdner Maler Eberhard Havekost einmal sein Interesse an den Dingen und Erscheinungen. Immer wieder führte er uns die Welt der Dinge als einen Prozess des Sehens und Wahrnehmens vor Augen: Landschaften, Himmel, Apparate, Körperteile, Häuser, Fenster, Fassaden. Er bearbeitete Bilder, die er in den Medien fand, um unseren Umgang mit der Fotografie als Dokument zu hinterfragen. Und untersuchte mit seiner Malerei die Subjektivität unserer Wahrnehmung.

Eberhard Havekost, "Alpennähe 3", 1999
akg-images
Eberhard Havekost, "Snow Lounge 4", 2000
Kunstfonds, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, © SKD, Foto: Stefanie Recsko

Seit 2010 war er Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. „U Say Love“ hieß Havekosts Ausstellung im Mai 2019. Nur zwei Monate später verstarb er in Berlin im Alter von 52 Jahren.

Kühne Konstruktionszeichnungen

Grafisch klare Formen, Linien und kräftige Farben: Die Arbeiten von Frank Nitsche wirken mitunter wie kühne Konstruktionszeichnungen, dann wieder wie vergrößerte Details aus Abbildungen oder wie Ausschnitte aus Comics. Seine Bilder sind abstrakt und dennoch meint man, Vertrautes in ihnen zu erkennen. Manches bleibt flächig, dann wieder stapeln sich Formen zu dreidimensionalen Räumen. „Alles Bildhafte“, erklärt der gebürtige Görlitzer einmal, „leitet sich aus der individuellen Wahrnehmung ab.“ Aus diesem Grund taugen Begriffe wie „realistisch“ und „abstrakt“ nicht für die Malerei, so Nitsche. 

Frank Nitsche, "BMC-7", 1999
bpk / Städel Museum